Hallo Werner,
der Sinn und Zweck einer Verschraubung besteht darin, eine Kraft aufzubringen, mit der zwei oder mehr Teile miteinander verspannt
werden. Das Gewinde stellt eine schiefe Ebene dar, auf der das eine Teil, z.B. die Mutter, sich um das Teil mit dem Außengewinde
herum - bleiben wir der Einfachheit halber bei einer Schraube - bewegt, wie auf einer Wendeltreppe. Wie auf dieser wird ein weit
gößerer Weg als in Achsrichtung zurückgelegt. Dadurch wird die Kraft in Umfangsrichtung während des Anzugsvorgangs reduziert.
Ab dem Moment, ab dem die zu verspannenden Teile aneinander anliegen, werden beide zusammengedrückt, elastisch verformt. Die
Schraube wird elastisch verlängert. Im Prinzip ist das eine Feder, die allerdings im Betrieb praktisch keine Längenveränderung durch-
laufen darf. Erst wenn die Verformung beginnt wird Spannung erzeugt und ist eine Kraft vorhanden.
Soviel zur Schraubenkraft. Bitte frag nach, wenn Du da eine Verständnislücke hast, die ich nicht erkenne, weil für mich in dem Thema
zu viel selbstverständlich ist.
Nun zur Schraubenkrafttoleranz:
- Die ergibt sich zum einen aus der Toleranz des Reibwertes zwischen den Teilen auf der schiefen Ebene des Gewindes, zum zweiten
aus der Reibung zwischen Schraubenkopf und Auflage. Diesen beiden Stellen schrieben wir im Motorenbau eine Spannweite des Reib-
wertes von 0,08 bis 0,14 zu. Das erscheint viel, ist aber so, trotz aufwändiger Fertigung, Beschichtung und meist Anlieferung ans Band
in Plastiksäcken.
- Ein weiterer Faktor ist, daß der Drehomentschlüssel nicht genau das Drehmoment an die Schraube liefert, das er anzeigt. Da wird mit
+/- 8 % gerechnet. Anm.: Das bedeutet aber, daß der Hersteller des Schlüssels diese Toleranz beim Neuteil noch nicht ausschöpfen darf
- Die geringste Schraubenkraft erhält man beim geringsten Drehmoment, ich nenne es mal Md x 0,92, und den höchsten Reibwerten, also
0,14. Die so entstehende Kraft muß die Funktionen sicher erfüllen !
- Die höchste Schraubenkraft erhält man beim höchsten Drehmonent, also Md x 1,08, und den geringsten Reibwerten, also 0,08. Die so
entstehende Kraft muß von den Bauteilen ausgehalten werden, dafür müssen sie dimensioniert sein.
Gegenüber der mit den Nennwerten - Md = Nennwert; Reibwert 0,11 - errechneten Schraubenkräften ergibt sich für die tatsächliche Schraubenkraft eine Toleranz von +/- 30 %.
Beispiel: Eine Sechskantschraube M10 bei Reibwert 0,08 mit 36 Nm angezogen ergibt eine Schraubenkraft von 23650 N. Der Minimalwert (0,014 und 33,3 m) wären in dem Fall 17560 N, der Maximalwert (0,08 und 38,9 Nm) sind 32800 N.
Löst Du also von 4 Schrauben zu Hause 2 und ziehst sie wieder an, so ist es sehr unwahrschinlich, daß alle 4 Schrauben hinterher die gleiche Kraft aufbringen. Das mag in vielen Fällen egal sein, oft aber auch nicht.
Nun gibt es genauere und natürlich aufwändigere Anzugsmethoden, die man dort einsetzt, wo man die Bauteile nicht für die höchsten Kräfte auslegen möchte und/oder die Verformung der Bauteile die Funktion stört. Beispiel: Kurbelwellenlagerdeckel. Da habe ich selbst von einer M12 auf M11 umkonstruiert, denn selbst zwischen dem Anzug vor Bearbeitung der Lagergasse und dem Anzug vor dem Einlegen der Welle war die Schraubenkrafttoleranz und damit die Bohrungsverformung schädlich im Sinne der Spieleingrenzung.
Ich hoffe Deine Fragen damit verständlich beantwortet zu haben.
Späte Grüße, Yeti.
Das bedeutet, daß
Meine Moppeds: Zündapp DB200; BMWs: R69S - R100 - R100CS - R100GS > HPN-Sport - K1; Yammis: FZS1000; XT1200Z; Tracer900-GT