Ja, ja, ... "...die sind heute so gebaut dass jeder draufsitzen und losfahren kann...". Das ist natürlich auch heute nicht immer der Fall (z. B. der vielzitierte Zickenalarm), aber "früher" gab es das zugegebenermassen häufiger.
In meinen Anfangsjahren stand ich unheimlich auf Veteranen, also Maschinen, die zum damaligen Zeitpunkt in den 70er Jahren schon 20 Jahre und älter waren (NSU, DKW, usw.). Diese Anziehungskraft entsprang nicht nur reiner Sympathie, sondern auch ganz praktischer und handfester Gründe: sie waren billig. Denn als Schüler und auch als Stift (neudeutsch "Auszubildender") hatte man ja nie Kohle und schrammte tagtäglich an seiner persönlichen Insolvenz entlang.
Es war an einem Freitagabend im Dezember. Es war schon 20 Uhr durch und ich war endlich fertig mit dem Schrubben der Lehrwerkstatt. Vor einer Stunde hatte es draussen bei Minusgraden geregnet. Der Hof, das Gelände, die ganze Welt war mit Blitzeis überzogen!
Ich zwängte mich mit einem dicken Schal um den Hals in meine heiss geliebte imitierte Lederjacke (Kunstleder) und rückte ein letztes Mal die Feinripp-Unterwäsche zurecht. Dann schlitterte ich quer über den Hof zu meinem treuen Bike, einer DKW RT 175. Es war schon ein trauriges Bild, wie sie da in der Dunkelheit durch den aufziehenden Nebel zu mir herüberblickte. Vom Scheinwerfer hing ein Eiszapfen fast bis auf den vorderen Kotflügel. Der Schlüssel liess sich erst nach gewaltsamer Entfernung der Eisschicht über dem Zündschloss einführen. Als ich unter den Sattel griff, um die Maschine abzubocken, splitterten mir tausend Eiskristalle um die Ohren. Auch der Benzinhahn knackte erst nach dem dritten Versuch in die "On"-Stellung. Der Vergaser liess sich nicht gleich fluten, denn auch hier hatte die "Eiszeit" erbarmungslos zugeschlagen und den Tupfer blockiert. Splitternd schloss ich den Schiebemechanismus am Luftfilter, um den Kaltstart einzuleiten.
Der bärige Zweitakter sprang sofort an

! Gewonnen! Und dann passierte es - es geschah nicht am hellichten Tag, sondern in tiefer und kalter Nacht: beim ersten Dreh am Gasgriff riss
im Vergaser der Nippel vom Gaszug ab!
Lasst uns an dieser Stelle das geblümte Mäntelchen des Schweigens über die Szenerie decken. Wenn der junge Mann im Feinripp einen Flammenwerfer zur Hand gehabt hätte, wäre der Maschine in diesem Augenblick wohl sehr warm geworden. Es hallten auch akustische Lautäusserungen durch die Nacht, die man hier nicht wiedergeben möchte.
War das der heute verloren gegangene Charakter?
Bin ich, weil es damals einfach so war, ein richtiger Motorradfahrer?
Ach was! Es waren einfach andere Zeiten mit einer anderen Technik. Trotzdem bin ich natürlich froh, dass ich diese Zeit auf diese Art und Weise "durchgemacht" habe. Aber mal Hand auf's Herz: so manches Ereignis hätte man sich doch trotzdem gerne erspart, oder?
